Erfahrungsbericht von 6 Monaten ISAF Einsatz in Kabul 1/2

"EasyRay" berichtet für uns direkt vom ISAF Einsatz in Kabul, Afghanistan. Wir bedanken uns bei Ihm für seinen offenen und ehrlichen Bericht! Er würde auf jeden Fall wieder nach Kabul gehen - sonst hätten die "Kräfte" gewonnen, die die "Uhr" in Afghanistan wieder zurückdrehen wollen. Nur in wenigen Fällen wurden Änderungen am Text vorgenommen. Angaben, die die Sicherheit der Kameraden in Kabul gefährend, wurden entsprechend verändert.

"EasyRay" ist im "Camp Warehouse", zusammen mit über 5000 Soldaten anderer Nationen stationiert. Engländer, Italiener, Spanier, Dänen, Holländer, Schweden, Finnen, Mazedonier, Kroaten, Griechen, Franzosen, Koreaner, Estländer, Isländer, Türken, Norweger und andere Nationen teilen sich dort das Lager mit den Bundeswehrsoldaten. Nachfolgend sein Bericht...

Das CW ist unterschiedlich aufgebaut. Die besten Unterkünfte haben die Deutschen. Wir haben schon richtige Feldhäuser mit allem drum und dran: Klima, Heizung, saubere Duschen und Klos. Also besser als auf den meisten Truppenübungsplätzen. Die meisten wohnen noch in Zelten oder Containern. Es werden aber immer mehr Feldhäuser gebaut. Das CW bekommt zunehmend den Charakter einer kleinen Stadt. Freizeitmäßig kann man hier abends z.B. in die vielen verschiedenen Bars gehen. Es gibt aber nur bis 2200 Alkohol und um XXXXh wird geschlossen. Das ist ja auch verständlich, da manche am nächsten Tag wieder Dienst haben und Unaufmerksamkeit hier einfach zu gefährlich ist.
Der ist jedes Mal anders. Es hängt immer stark vom Auftrag ab. Wenn man z.B. früh morgens einen Auftrag beendet dann kann man so lang schlafen wie man möchte. Es müssen immer 12h zwischen den Aufträgen frei sein. Wenn Antreten ist, gehe ich danach erst mal zum Frühstück und anschließend mach ich das, wofür ich jeweils eingeteilt wurde. Entweder mache ich meine Ausrüstung klar für den Auftrag oder ich hab frei und schreibe Briefe, eMails oder lege mich in die Sonne und relaxe.
Das Essen hier ist genial! Im Vergleich zum Essen in Mittenwald, ist das hier das Paradies. In der Zeit außerhalb des Lagers gibt’s lecker EPA. An allen Freitagen gibt es keinen Fisch, sondern dann ist hier EPA Tag, weil die Küche desinfiziert wird. :-) Man gewöhnt sich daran.
Das einzige Problem ist nur, dass es hier weit und breit kaum Esbit gibt - sehr schön. Wir liegen dem VDF (Versorgungsdienstfeldwebel =der Organisator schlecht hin) immer in den Ohren, aber der winkt nur ab, weil den Esbit schon vor 3 Monaten angefordert hat, aber leider kein Nachschub eintrifft. Das hat sich mittlerweile etwas geändert. Jeder Soldat hat in paar Stückchen Esbit bekommen. Das langt zwar nicht, wenn man oft draußen essen muss, aber es ist ein guter Anfang.
Die Aufträge werden nur allgemein beschrieben um keine sicherheitsgefährdenden Informationen herauszugeben:

QRF Batallion/Brigade - Bei diesem Auftrag ist man im Lager und hat eine kurzfristige Abrufzeit. Innerhalb dieser Zeit muss die QRF Batallion od. Brigade aus dem Lager ausrücken. Befehlsausgabe usw. muss vorher erledigt sein. Die Reserve wird nur alarmiert, wenn’s wirklich brennt. Die QRF besteht auch aus einer großen Anzahl gepanzerter und ungepanzerter Fahrzeug mit San Unterstützung.
Unterwegs in Kabul

BoRa - (Beobachtungs-Ortungs und Radarartillerie) Bei diesem Auftrag sichert man das Bodenradarteam, welches ein Stück aus dem Lager rausfährt. Meist fahren Sie auf natürlich einen Hügel und stellen dort ihr Radar auf, welches auf viele Kilometer Entfernung gepanzerte Fahrzeuge aufklären kann. Meist sogar noch nach Typ. Ein beeindruckendes Gerät. Betrieben wird das BoRa mit 20Watt. Zum Vergleich: Die Holländer haben ein BoRa mit 20.000 Watt und das hat nicht mal annähernd die Aufklärungstiefe wie die deutsche Version. :-)

Chef od. Spieß - Hier muss man mit dem Chef oder dem Spieß nach Kabul mitfahren und die einfach nur sichern. Die erledigen irgendwelche Sachen mit den Generälen der afghanischen Armee und man ist der Bodyguard. Tolle Fotos von der Bevölkerung sind da immer garantiert.

OPZ - (Operationszentrale) Das ist der langweiligste Auftrag von allen. Man sitzt hier im Lager in der OPZ und empfängt die Funksprüche von den Kräften die draußen ihre Aufträge erfüllen. Man darf dann immer schön die Fähnchen auf einer großen Karte verschieben. Was für eine Aufgabe sehr anspruchsvoll, aber dennoch wichtig. In letzter Zeit durfte ich den Dienst auch mal leisten.

CSR - (Camp Site Reggae) man fährt durch die Gegend um Kabul. Das die CSR tagsüber beliebter ist, ist ja klar, da man dann mehr Leute sieht und/oder mit ihnen reden kann.

Wild Lake

East Extension - Das ist der beste Auftrag. Da fährt man mit zwei 2-Tonnern raus an einen Stausee und "guckt" ein bisschen in der Landschaft rum und notiert vorbeifahrende Fahrzeuge. Weil man da am Ende der Welt ist, passiert das eher selten. Man sitzt an der MILAN und kann sich parallel sonnen. Die Übernachtung ist inklusive. Dies ist echt der beste Auftrag.

East Extension Patroullie - Da sichert man die Leute, die beobachten (sich sonnen und relaxen). Ein bissl rumfahren und schauen, natürlich in voller Kampfbeladung.

Der Bus  - Quelle: AP
Gestern wurde ein ganzer Bus voller Deutscher Abflieger von einer Autobombe zerfetzt. Ich hatte an dem Tag Lagersicherung und stand vorn an der KFZ-Schleuse, wo die ganzen Fahrzeuge ein und ausfahren und dort hab ich alles miterlebt. Ich bin morgens hin und alles war wie immer. Wir haben die Autos kontrolliert und die Ausweise gecheckt und das war's. Um 0750h ist der Bus voller Abflieger durch die KFZ-Schleuse gefahren und wir haben denen noch gewunken und die haben uns ein bisschen geneckt weil wir noch in Kabul bleiben müssen. Um 0800h lag ich in der Ruhezone der KFZ-Schleuse und dann haben wir einen Megaknall gehört...

Ich hab auf die Uhr geschaut und angenommen, dass das wieder eine kontrollierte Sprengung war, weil die bei uns immer zur vollen Stunde durchgeführt werden, wenn der EOD (Explosive Ordnance Disposal - Kampfmittelräumer) wieder einen UXO (Unexploded Ordnance - Blindgänger) sprengt. Dann kamen aber stückchenhaft die Informationen durch, dass es ein Minenunfall war. Durch die KFZ-Schleuse sind alle QRF-Brigade, QRF-Batallion und QRF Backup gerast. Das sind die Kräfte, die in Reserve gehalten werden falls mal was passiert. Ein Haufen Sanis und alles was Signalhörner und Blaulicht hat sind wie wild aus dem Lager rausgeschossen. So viele Sanis hab ich noch nie auf einmal gesehen. Dann bekamen wir die Information, dass es den Bus 4000m westlich vom Camp Warehouse auf einer Route erwischt hat: Autobombe. Da waren wir erst mal am Schlucken. Als wir dann die Sanis wieder reingelassen haben, war's erst mal aus mit der Ruhe, weil in ihren Gesichtern der blanke Schrecken stand. So was hab ich noch nie gesehen. Als dann ein SaniLKW reingefahren kam und ein Sani Blutspritzer im Gesicht hatte, war's echt aus. Dann kamen die Meldungen rein wegen den Toten und Verletzten. Wir wissen natürlich viel mehr alsdie Presse, wir sind aber aus Sicherheitsgründen zum Schweigen
verpflichtet.

Es sind dann immer mehr Verletzte reingekommen. Aus unserem FLAZ (Feldlazarett) wurden dann die Afghanen entlassen, die gehen konnten, um Platz für die Verletzten zu schaffen. Da kam dann einer an die Wache vor in OP-Klamotten und der hat sich da vorn an der KFZ-Schleuse irgendwo hingesetzt und in seinem Beutel gekramt. Wir waren eh schon extrem angespannt und da bin ich dann mal hin und hab gefragt was er da macht und ob ich mal den Beutel sehen kann. Verstanden hat er mich nicht aber ich hab in den Beutel geschaut und da war einfach alles rot. Die Klamotten von dem waren blutverschmiert. Wir mussten ihn in dem Zustand rausschmeißen, weil unser FLAZ (Feldlazaret) mit Verletzten komplett überlastet gewesen ist. Er stand dann eine geschlagene Stunde bei 36°C im Schatten draußen auf der Strasse, total paralysiert - die haben ihm bestimmt irgendwas krasses Schmerzstillendes gegeben und er wusste nicht was er tun sollte. Irgendwann war er dann verschwunden. Ich stand immer noch an der KFZ-Schleuse bei 36°C. Um XXXX h haben wir die Lagersicherung übernommen und die ging dann auch bis in die Abendstunden.

Um 1330h kam dann unser Zugführer mit meinem Gruppenführer, angerauscht und ich sollte sofort mit meiner Waffe und Helm in den Wolf springen. Wir sind dann aus dem Lager gefahren und haben uns draußen mit einem Hubschrauber der Amerikaner treffen sollen, der 3 unserer Schwerstverletzten ausfliegen sollte. Wir standen dann irgendwo in der Pampa herum und dann kamen zwei Humvees und zwei Strandbuggys, die uns dann zu ihrem Lager eskortiert haben. Dort standen schon abflugbereit die Chinook-Hubschrauber welche die Verletzten ausfliegen sollten. Mit uns sind auch zwei KRKW mitgefahren in denen die drei Schwerverletzten von uns waren.

Als die dann die Türen aufgemacht haben und ich schon die Füße von dem ersten Verletzten gesehen habe, war es bei mir vorbei. Ich musste mich erst mal anlehnen, weil’s mich sonst umgehauen hätte. Der Tag war so schon extrem belastend, weil ich die Gesichter hab sehen müssen. Und dann haben sie den Verletzten mit der Trage rausgeholt. Das Gesicht war nicht mehr als solches erkennbar. Das war nur eine einzige aufgeschwollene Kugel, halbseitig schwarz und auf der anderen Seite blutig. Man muss dazusagen, dass die Ärzte die Verletzten schon abgewaschen haben und die immer noch schlimm aussahen. Ich hätte die glaub nicht sehen wollen als sie noch nicht abgewaschen waren. Dann kamen die beiden anderen Verletzten. Der erste sah sehr zerfleddert aus. Da waren nur noch Fleisch und die Konturen des Menschen nicht mehr zu erkennen. Die eine Hand und ein Fuß waren abgetrennt. Das war kein schöner Anblick. Der dritte und glücklicherweise auch letzte Verletzte, den ich hab sehen müssen, sah aus wie ein Schweizer Käse. Nur noch Splitterlöcher. Aber nur an Armen, Beinen und Gesicht, weil die Bristol wirklich nichts durchgelassen hat. Das muss man mal dazu sagen. In der Hinsicht ist die Ausrüstung wirklich top. Dann waren die endlich verladen und wir sind wieder ins Camp Warehouse zurückgefahren.

Dann stand ich erst mal wieder an der KFZ-Schleuse und musste mich erst mal mit dem gerade gesehenen auseinandersetzen. Nach knapp einer Stunde kamen der Zugführer und der Gruppenführer wieder angefahren und ich sollte wieder mitkommen. Alles klar, ich bin wieder in den Wolf und wir sind wieder aus dem Lager. Die haben nur kurz was von einem weißen Auto gesagt und mehr wusste ich auch nicht. Dann haben wir abrupt angehalten und sind aus dem Auto gesprungen und mit der Waffe im Anschlag auf das weiße Auto zu, das direkt vor uns stand. Den Fahrer haben wir aussteigen lassen und haben ihn den Wagen komplett durchsucht. Man so geschwitzt hab ich noch nie. Danach sind wir gleich weiter einem weißen Jeep gefolgt, den wir durchsuchen sollten, weil er das Lager mit einem DF beobachtet hat. Wir haben ihn aber nicht gekriegt. Puhhh..., noch so eine hektische Durchsuchung konnte ich nicht gebrauchen. Wir sind dann wieder zum Camp Warehouse zurückgefahren und ich bin dann wieder in die KFZ-Schleuse gegangen. Mittlerweile war es XXXXh. Ich war seit 8h 20min in der sengenden Sonne und hatte unglaubliche Kopfschmerzen. Normalerweise sollten wir mit den Wachtürmen um XXXX h tauschen, aber das blieb heute aus. Ich hab so geflucht. Um XXXX durften wir dann doch endlich auf die Türme wechseln. Da konnte ich noch mal Revue passieren lassen, was eigentlich passiert war, aber ich konnte irgendwie nicht klar denken.

Nachdem wir dann endlich um XXXXh abgelöst wurden, haben wir noch ein Kompanieantreten gemacht, in dem uns die ganzen Infos noch mal erzählt wurden, damit keine Gerüchte entstehen. Als Mannschaftsdienstgrad fühle ich mich hier eigentlich recht gut informiert. Uns wird eigentlich fast alles gesagt und wenn man gute Beziehungen hat, kommt man an den Rest auch gut heran.Um XXXX h haben wir (also die I Gruppe) und getroffen und jeder hat erzählt, wie es ihm heute ergangen war und was er oder sie gefühlt hat. Jedenfalls hat mal jeder rausgelassen was ihn so bedrückt hat und das schweißt einfach zusammen. Unsere Gruppe kennt sich auch erst seit Januar aber für die kurze Zeit sind wir schon ein echt krasser Haufen geworden. Um 2300 sind wir dann ins Bett gegangen. Ich hab eigentlich relativ gut geschlafen. Mal sehen was die Zukunft bringt.

Unsere Aufträge laufen natürlich alle weiter wie bisher. Da kann man nichts machen, ist auch richtig so! Wenn wir uns von so was einschüchtern lassen und den ISAF Einsatz beenden, dann haben die genau das erreicht, was "Sie" wollten - nämlich Ihren Machtdurst wieder entfesseln und dann ist das Land wieder in der selben Situation wie vor dem Einsatz. Das sind wir den Toten und dem Volk hier schuldig. Es sind immer nur einzelne die alles kaputtmachen. Und um das zu unterbinden sind wir hier!

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